Mittwoch, 9. Juli 2008

Als Lilli fünf war, ist ihr das schon einmal passiert

Lillis Nachbarin läuft ihr in den Garten hinterher und verlangt, dass Lilli ihr zuhört, da sie ein besonderes Anliegen vorzubringen hat. Lilli schleppt einen Sack Kompost aus Fischabfall und ist mindestens so schlecht gelaunt wie die Schalentiere, die zur Herstellung des Komposts verwendet wurden. Trotzdem bringt sie ein Lächeln zustande und hört sich an, was sich als ein neues an den Haaren herbeigezogenes Problem der Nachbarin entpuppt: Lilli grüßt die Nachbarin nicht, oder nicht herzlich genug, was doch nicht anginge, schließlich wohne man doch so nah beieinander. Während Lilli diese Anschuldigung auf sich wirken lässt, tun sich zwei mögliche Szenarien vor ihrem innerem Auge auf:

1. Lilli tut erstaunt, entschuldigt sich für all die Male, wo sie die Nachbarin übersehen haben sollte, und versichert ihr, dass es bestimmt nur daran liegt, dass Lilli immer mal wieder völlig in Gedanken durch die Welt spaziert. Danach wären beide Beteiligten zufrieden gewesen, denn die Nachbarin hätte Lilli zu verstehen gegeben, dass sie sie unmöglich findet, während Lilli sich in ihrer Einschätzung bestätigt gefühlt hätte, dass die gute Frau zu viel über andere nachdenkt, weil sie wohl sonst nichts zu tun hat.

2. Lilli sagt die Wahrheit, nämlich dass sie die Nachbarin keinesfalls durch ein zu herzliches Grüßen dazu auffordern will, sie in ein Schwätzchen wie dieses zu verwickeln. Nicht, weil Lilli etwa ein generell menschenverachtendes Persönchen wäre, sondern lediglich, weil sie nun mal genau diese Nachbarin nicht sonderlich leiden kann, aus mehreren, vielfältigen, persönlichen und ganz und gar subjektiven Gründen natürlich. Danach wäre die Nachbarin beleidigt und Lilli geknickt gewesen, da es ihr keinen großen Spaß macht, anderen Leuten den Tag zu verderben.

Noch bevor sich Lilli für das eine oder andere Szenario entscheiden kann, legt die Nachbarin ganz unverblümt nach: „Vielleicht liegt es ja daran, dass du Deutsche bist, dass du so unnahbar bist.“

! ! ! Und das von jemandem mit Hochschulabschluss ! ! !

Da zieht Lilli es dann doch vor, Szenario Nr. 1 durchzuspielen und freundlich zu tun. Sie kann schließlich nicht verantworten, dass ganz Deutschland in den Schmutz gezogen wird und von nun an bei der Nachbarin, die in ihrem ganzen Leben eine einzige Auslandsreise gemacht hat, als Land des Nichtlächelns unten durch ist. Ärgern tut sich Lilli natürlich doch, dass ihr Verhalten einer Einzelperson gegenüber auf das ganze Land umgelegt wird. Nächstens wird sie verlangen, dass die Nachbarin Lillis Freunde anruft, damit die ihr bescheinigen können, dass Lilli eine absolut hinreißende, manchmal durch Schüchternheit etwas ungeschickt oder gar verschlossen wirkende, dennoch großzügige und warmherzige Person ist. Denn solche Freunde hat Lilli tatsächlich, auch unter Kanadiern, allerdings hat sie sich diese selbst nach dem Kriterium der gegenseitigen Zuneigung ausgesucht und nicht danach, ob sie nun in der gleichen Straße wohnen oder nicht. Ts.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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