Lilli und die Kuh
Lilli hat ein Regenschirm-Handicap: sie verliert sie ständig, und diejenigen, die sie nicht verliert, werden von den Strolchen zum Hockeyspielen missbraucht und enden mit vielfachen Knochenbrüchen im Müll. Ihr Haushalt verfügt deshalb im Moment nur noch über einen Riesenschirm, der gut für eine Kleinfamilie mit Bollerwagen ausreicht, und ein Kinderschirmchen in Form einer Kuh. Am ersten Regentag dieses Herbstes zog Lilli mit dem Riesenschirm los und konnte froh sein, niemandem am Bahnsteig damit ein Auge ausgestochen zu haben. Noch dazu war das Ding schwer und zusätzlich zur Hand- und Umhängetasche extrem lästig. Am zweiten Regentag beschloss Lilli deshalb, ihr Glück mit der Kuh zu probieren. Und während sie so inmitten der Montrealer City spazierte, ein weißes Schirmchen mit aufgedrucktem Kuhmaul und Kuhaugen sowie obendrauf abstehenden Hörnern und Ohren über sich haltend, fiel ihr etwas Erstaunliches auf: sie fiel überhaupt nicht auf damit. Sie erntete kein Lächeln, keinen belustigten Blick, kein Hohnlachen – einfach gar nichts. Auch das ist Montreal: man kann mit blauen Haaren, Totenköpfen auf dem T-Shirt oder aber Wiederkäuern über dem Kopf durch die Menge gleiten, ohne jemanden damit vor den Kopf zu stoßen. Die Leute sind Sachen gewöhnt und lassen durchgehen, was sie selbst in ihrer Privatsphäre nicht beeinträchtigt. Und ihnen kein Auge aussticht...
Lilli legt los - 21. Okt, 11:00