Donnerstag, 9. Dezember 2010

Heute im Angebot

Von den Leuten, die mit Lilli im Krankenhausflur sitzen und warten, dass eine himmlische Stimme sie aufruft, sieht Lilli nicht viel, denn jeder hat einen Turm aus Tasche, Jacke, Mütze, Schal und Handschuhen auf den Knien. Sehr krank sehen sie jedenfalls nicht aus, was wohl hauptsächlich daran liegt, dass es sich um eine HNO-Abteilung handelt - da geht die Krankheit mehr nach innen als nach aussen. Immer mal wieder kommen Krankenschwestern vorbei, oder Pfleger oder wie sie heissen, mit wehendem Mantel und diesem Gesichtsausdruck, der aus "Ich hab schon viel Leid gesehen" und "Jetzt haben Sie sich mal nicht so" besteht. Dann eine Frau mit einem Wägelchen, die rechts und links ihre Waren anpreist. "Kaffee", denkt Lilli, aber als die Frau auf Lillis Höhe angekommen ist, sagt sie nicht "Kaffee", sondern "Grippeimpfung" und lächelt auffordernd. Letztes Jahr um diese Zeit waren die Leute bereit gewesen, für eine Grippeimpfung zu morden oder vier Stunden lang in der Kälte anzustehen. Letztes Jahr gingen Lilli und die Stroche in ein extra eingerichtetes Grippeimpfzentrum, das in einem umfunktionierten Autohaus untergebracht worden war, und liessen sich in einem verglasten Büro impfen, in dem zuvor Verkäufer und Kunden über Kaufverträgen und Zusatzgarantien schwitzten. Jetzt schütteln die Leute höflich den Kopf, und auch als die Frau mit dem Wägelchen dazusetzt, dass die Grippeimpfung kostenlos ist, lächeln alle bedauernd und schütteln weiter den Kopf. Auch Lilli will keine Grippeimpfung. Sie will, dass Monsieur neben ihr sitzt und ihre Hand hält. Denn wenn es um Ohrenweh geht, ist sie nicht die grosse Lilli, sondern höchstens sieben Jahre alt.

Heisskalt

Die Montréaler haben das Saunieren entdeckt. Was bis vor ein paar Jahren noch als anzüglich galt und eher ein Ort der körperlichen Annäherung denn ein Hafen der Entspannung war (so gingen die Gerüchte, denn keiner würde offen zugeben, solche Institutionen zu frequentieren), hat sich zum schicken "Spa" gemausert. Jetzt wissen alle, dass das "Gesundheit durch Wasser" heisst und zum Wohlfühlen unbedingt dazugehört. Auch Lillis Freund, der ihr letztes Jahr zu Weihnachten eine Tageskarte für zwei Personen geschenkt hat, in einem Edeltempel (-tümpel?) mit Smoothies-Bar und viel Design. Vor kurzem hat Lilli nun mit Schrecken festgestellt, dass die kostbare Tageskarte nur noch bis zum 23. Dezember gültig ist - irgendwie sind Lilli und Monsieur das ganze Jahr über nicht dazugekommen, sich einmal so richtig in gemessenem Rahmen zu entspannen. Deshalb muss sie jetzt noch schnell vor Weihnachten ein Zeitfensterchen finden, in dem sie den Gutschein abgeniessen kann... So ein Stress aber auch.

Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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