Vater-Land
Lillis Vater hat angefangen, komische Sachen zu sagen. Nach dem Schlaganfall vor ein paar Jahren, meinte die Neurologin neulich, seien viele Hirnzellen abgestorben, sodass man sich auf eine Verschlechterung seines kognitiven Zustandes einstellen müsste. Das ist zwar nichts grundlegend Neues, aber jetzt, wo es losgeht, trifft es Lillis Mutter doch ganz hart. Denn wer weiss, wie schnell es mit ihm bergab gehen wird, wo man schon einmal auf der schiefen Ebene steht? Wie schnell er zum Pflegefall wird, wo sie doch nicht gerade die Geduldigste ist und im Moment eher unwirsch als mit Güte und Toleranz auf seine immer häufiger auftretenden Gedächtnislücken reagiert? "Das habe ich bei Ihnen immer umsonst bekommen", sagte Lillis Vater dem Uhrmacher neulich, als der eine neue Batterie in seine Uhr einsetzte. Was natürlich nicht stimmte und vom Uhrmacher auch höflich angezweifelt wurde. "Wieviel Wasser soll ich in die Kaffeemaschine tun?", fragt er Lillis Mutter, als diese mit Lilli am Telefon ist, obwohl er das genau weiss - oder bisher jedenfalls wusste, jetzt aber vergessen hat. "Wo kommen die leeren Flaschen hin", will er auch noch wissen, obwohl er immer für den Transport des Leergutes und das damit einhergehende Hin-und Herräumen der Flaschen verantwortlich war. Lilli denkt an letztes Weihnachten zurück, als sie ihren Vater zum letzten Mal gesehen hat. Und daran, wie er wohl sein wird, wenn sie ihn das nächste Mal sieht. "Man ist immer im Werden", hat sie gestern erst gelesen. Ab jetzt wird ihr Vater aber wohl immer weniger.
Lilli legt los - 23. Dez, 17:33
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