Geschenkt

Obwohl es im Moment regnet und kein bisschen nach Sommer aussieht, räumt Lilli die Kleiderschubladen der Strolche aus: die Sachen, die dem grossen Strolch zu klein sind (fast alles) kommt zum kleinen Strolch, dessen zu kleine Sachen auf zwei Stapel kommen. Ein Stapel mit den ausgefransten, zerrissenen Klamotten für die Stoffsammlung, ein anderer mit den noch guten Sachen zum Verschenken. "Warum nicht Saïd", sagt sich Lilli und zögert gleich darauf, da es bestimmt peinlich ist, dem Putzmann verwaschene T-Shirts für seinen Sohn anzutragen. Sie will nicht überheblich erscheinen, sie will auch nicht, dass er sich bei ihr unterwürfig bedankt und sich gleichzeitig darüber ärgert, in einer Position zu sein, wo er Krümel vom Tisch der reichen Frau annehmen muss. Dann doch lieber die anonyme Kleiderklappe an der Kirche? Da sieht wenigstens niemand, was man alles hergibt... Komisch, wo es Lilli doch hauptsächlich darum geht, dass noch funktionsfähige Dinge weiterverwendet werden, um die Umwelt zu schonen, so wie sie auch den Küchenabfall kompostiert. Sie will dafür keinerlei Dankbarkeit, lediglich ein gutes Gewissen für sich selbst. Wenn man aber Sachen verschenkt, schafft man automatisch Kategorien: der Schenker und der Beschenkte - ein Kastensystem wie in Indien.

Nachdem sie das alles eine Zeitlang wohl bedacht und in ihrem Herzen hin und her bewegt hat, nimmt Lilli den Stapel mit den guten Sachen, steckt ihn in eine Plastiktüte und hält sie Saïd hin. Der lächelt kurz, bedankt sich, als hätte Lilli ihm ein Stück Schokolade angeboten, und legt die Tüte zu seiner Jacke dazu, ohne gross hineinzuschauen. Seine Welt und seine Würde wurden durch die milde Gabe nicht erschüttert, und Lilli geht erleichtert zurück zu ihrem Computer, während Saïd weiter den Fernseher abstaubt.

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Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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