Ach ja, Vorurteile

Lillis Vater würde sie ein spätes Mädchen nennen, dabei ist die Frau über 40, pummelig und ähnelt mit ihren tiefschwarz gefärbten Haaren, ihren roten hochhackigen Stiefeln und ihren schwarz-silbrigen Outfits eher einer Hexe als einer nicht aufgeblühten Blume, die sich danach verzehrt, endlich an der Reihe zu sein. Sie ist herzensgut, grosszügig und sanft, allein ihre Besessenheit, sich optisch zu verjüngen, gibt ihr ein derart hartes, abweisendes Aussehen. Sie verbringt ihre Ferien in Kuba, wo sie vor drei Jahren einen Kubaner kennengelernt hat, still und ernst auf den Fotos, die sie im Büro anschliessend herzeigt, mager auch, jedenfalls neben ihr. Hier in Montreal wohnt sie bei ihrer Mutter, wodurch sie viel Miete spart, die sie dann wieder in Flugtickets steckt und in Sachen, die sie nach Kuba schickt für die Schwestern und Nichten und Neffen ihres Freundes, wenn sie sie nicht selbst im Koffer mitnehmen kann. Vor einem Jahr hat sie ihm einen Heiratsantrag gemacht und den Einwanderungsantrag für ihn gestellt, sehr zum Missfallen ihrer Mutter, die dem Kubaner misstraut und ihre Tochter vor einer Enttäuschung und womöglich finanziellen Schwierigkeiten schützen will. Auch in Lillis Büro finden sich Leute, die der Meinung sind, dass die dicke Frau und der dünne Kubaner nicht zueinander passen, und sogar die kanadischen Einwanderungsbeamten haben dem Kubaner in der Botschaft in Havanna ein Foto von ihnen beiden unter die Nase gehalten und gemeint, sie würden rein äusserlich kein harmonisches Paar abgeben. Ob das denn wirklich Liebe sein kann?

Jedenfalls ist der Kubaner jetzt im Anflug. Sie hat ihm gesagt, er solle seinen dicken Anorak mitbringen, denn im Moment hat es in Montreal krachende Minusgrade. Trotzdem wird sie erst einmal mit ihm Einkaufen gehen müssen, um ihn einzukleiden. Dann wird er in ihr Zimmer bei ihrer Mutter einziehen und versuchen, hier ein neues Leben anzufangen. Erst in drei Wochen, wenn die Frau wieder ins Büro kommt, wird Lilli erfahren, wie es so gelaufen ist.
yonosequepasara - 19. Jan, 12:00

Dann halten wir ihnen die Daumen...

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Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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