Hoch-Zeit
Die Braut war umwerfend schön, der Bräutigam trug Schwarz, der Brautvater sah aus wie Kent Nagano, war es aber nicht. Die Unitarierin, die die Trauung vornahm, sprach abwechselnd englisch und französisch, damit alle was mitbekommen, was in Montréal niemanden gross erstaunt. Nach der Trauung gab es Cocktails, Wein und viel zu lauten Jazz, der alle Gäste dazu verdammte, sich Gesprächsfetzen ins Ohr zu brüllen oder verständnislos-entschuldigend zu lächeln. Im Saal, in dem drei lange Tische für gut 200 Leute gedeckt waren, hingen Dutzende von Schwarzweissfotos des Paares an den Wänden, auf denen sich, oh Wunder, so ziemlich alle Anwesenden wiederfanden. Eine tolle Geste, fand Lilli, die auch sehr zu Gesprächen angeregt hätte, wenn es nur nicht so eng gewesen wäre. Während des Essens - libanesisch übrigens und so stark gewürzt, dass das Ins-Ohr-Schreien immer peinlicher wurde - hörte man in regelmässigen Abständen, wie mit Gabeln an Gläser geklopft wurde. Eine Geste, die Europäer gern mit einer Ansprache verbinden, hier aber heisst, dass das Brautpaar sich küssen soll. Reden gab es aber auch: zuerst hiess der Brautvater den Bräutigam in ihrer Familie willkommen, dann war der Vater des Bräutigams an der Reihe, seine neue Tochter verbal in die Arme zu schliessen. Zwei formelle und gleichzeitig tief empfundene Deklarationen, die fast feierlicher waren als all das, was die Unitarierin aufgeboten hatte. Diese zwei Reden von Eltern, die ihren Kindern von Herzen alles Gute wünschen, waren das Schönste an der ganzen Hochzeit. Und das Brautkleid. Und die Teigbällchen mit Spinat.
Lilli legt los - 29. Sep, 18:15
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