Geburtstagskakophonie

Torte backen und mit Gummibären verzieren. Luftballons aufblasen (dazu hinsetzen, sonst kippt Lilli um). Luftschlagen um die Esstischlampe drapieren, dabei missbilligend die Spinnweben abzupfen. Musik von Crazy Frog raussuchen. Wohnzimmertisch (oh ja, Lilli hat jetzt einen, aber das ist eine andere Geschichte) aus dem Weg schieben. Den Gästen die Jacken, Schals, Mützen, Handschuhe und Schneehosen abnehmen und gleich auf einen Bügel hängen, um Verwechslungen zu vermeiden. Ansteigenden Lärmpegel ignorieren, lächeln. Schreiende tanzende Kinder zu diversen Spielen auffordern und Regeln erklären, die keiner hören will. Crazy Frog singt „Cotton-Eyed Joe“. Die ganze Meute rausschicken zum Hockeyspielen. Ein Gruppenfoto machen, bei dem keiner mittun will. Dem kleinen Strolch ist die Mütze über die Augen gerutscht, zwei andere Jungs ziehen sich an den Ohren. Beim Heimkommen abzählen, ob auch noch alle da sind. Kerzen in die Torte stecken (Creme zu weich, läuft seitlich runter) und anzünden, Lied singen. Lächeln. Den kleinen Strolch davon abbringen, die Kerzen mit der Nase auspusten zu wollen. Milch einschenken, aufwischen, die vergessenen Papierservietten in der Küchenschublade suchen. Alle zum Händewaschen ins Bad schicken („aber Hände weg vom Türrahmen!“). Lächeln! Auf dem Sofa hüpfende Kinder dazu überreden, einzeln ihr Geschenk zu überreichen. Selbst gemalte Glückwunschkarten und mehr oder wenig sorgfältig ausgesuchte Geschenke bewundern, dabei heimlich Rückschlüsse über den Erziehungsstil der Eltern ziehen. Die Tüten mit den Abschiedsgeschenken hervorholen, den abholenden Eltern versichern, dass alles wunderbar gelaufen sei und alle ganz ganz brav waren. Sich endlich erschöpft aufs zerknautschte Sofa fallen lassen, möglichst ohne sich auf einen Luftballon zu setzen. Das Album mit den Fotos von der Geburt des kleinen Strolches hervorholen und sich daran erinnern, wie es war damals, als er vier Wochen zu früh auf die Welt kam und keine fünf Pfund wog. Die Nase so hässlich damals! Und wie er immer geschrien hat die ganze Zeit und rumgetragen werden wollte, pausenlos. Die Tränen abwischen, die plötzlich von nirgendwo her kommen, und sich wundern, dass das schon acht Jahre her sein soll. Und lächeln, was diesmal ganz leicht geht und ganz von selbst – zum ersten Mal an diesem Tag – weil Lilli doch weiß, dass nicht der Strolch derjenige ist, der die meisten Geschenke bekommen hat. Es ist alles in Ordnung, Lilli. Deine Wohnung ist ein Schlachtfeld, dein Trommelfell schwer geschädigt und Crazy Frog nahe daran, aus dem Fenster zu fliegen, aber genau so muss es sein an solch einem Tag. Kindergeburtstag.
chamäleon123 - 12. Mär, 08:44

Oh ja! Es ist genau so, jedes Mal.

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Über Lilli

Laufen ist denken, manchmal auch überlegen, immer aber sich erneuern. Eine neue Sicht auf die Dinge erlangen, die uns bewegen. Laufen ist manchmal auch davonlaufen, für eine Weile wenigstens, bevor man wieder heimkommt zu Mann und Kindern, Wäsche und Kochtopf, zu den eigenen Macken und all den bunten Schnipseln, die ein Leben so ausmachen. Laufen ist das beste Beobachten, das es gibt.

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Zuletzt aktualisiert: 23. Mai, 03:27

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