Strolche
Gestern musste Lilli lange arbeiten, Monsieur war ausser Haus und die Zeit bis zum Eishockeytraining des grossen Strolches war knapp bemessen. Von der Bushaltestelle aus ruft Lilli zuhause an und bittet den kleinen Strolch, schon mal Nudeln zu kochen und die Spaghettisosse zu wärmen, damit sie zusammen essen können, sobald sie zur Tür reinkommt. Antwort des kleinen Strolches: "Ah, dazu hab ich keine Lust." "Keine Lust, Spaghetti zu essen?", fragt Lilli. "Nein, keine Lust zum Nudeln kochen." Lilli besteht darauf und nährt ihren Ärger über das faule Kind während der Busfahrt, bis der so richtig schön zum Explodieren ist. Als sie eine Viertelstunde später zuhause ankommt, stehen Wörter wie Teamarbeit, alle müssen mithelfen, wozu ist man eine Familie verdammt noch mal, ich in deinem Alter usw. schon Schlange auf ihrer Zunge. Der grosse Strolch macht Hausaufgaben, der kleine Strolch werkelt in der Küche. Er hat einen mittelgrossen Topf mit Wasser gefüllt und auf die kleine Herdplatte gestellt, die das Wasser in der Zwischenzeit gerade mal auf lauwarm erhitzen konnte. Warum? "Die grossen Töpfe waren alle schmutzig." Immer noch sauer spült Lilli einen grossen Topf, knallt ihn auf den Herd, leert das lauwarme Wasser um. Auf dem Tisch steht noch das Frühstücksgeschirr, die Spülmaschine ist nicht ausgeräumt. "Hey, ich geh vor Euch aus dem Haus und komm als Letzte wieder, ist es da zu viel verlangt, dass ihr wenigstens den Tisch abräumt!", schimpft Lilli. Während sie die sauberen Teller von der Spülmaschine in den Schrank räumt, sieht sie aus den Augenwinkeln, womit der kleine Strolch beschäftigt war, bevor sie in die Küche stürmte: er rührt einen Keksteig, macht sein geliebtes Erdnussbutter-Keksrezept. Ganz so faul ist er also nicht! Lilli atmet tief durch, will ihren Ärger nicht gleich so gehen lassen, will noch eine Weile sauer sein.
Als der kleine Strolch die Kekse aus dem Backofen holt, den er zu niedrig eingestellt hatte, sind sie so weich, dass er sie fast nicht aufs Gitter bringt. Sie müssen mit dem Löffel gegessen werden und schmecken himmlisch. "Du machst gute Kekse", sagt Lilli und lächelt den kleinen Strolch an. Ein kleines Lächeln zwar, aber ein Lächeln immerhin.
Lilli legt los - 10. Okt, 11:01
Was ist besser weniger schlimm: einen 14jährigen Jungen zum Urologen begleiten und sich anhören müssen (bzw. ihn vor der Mutter erzählen lassen müssen), wie und unter welchen Umständen genau (die anscheinend nachts oder unter der Dusche auftreten) da was wehtut? Oder den wildfremden Urologen allein mit dem grossen Strolch lassen und nicht einschreiten können, falls der die Grenzen der normalen Untersuchung überschreitet? Und kommen Sie mir nicht mit dem Vorschlag, der Vater solle den Jungen begleiten. Das ist heute nachmittag leider unmöglich.
Lilli legt los - 7. Okt, 10:25
Monsieur's Freund S. ist am Montag im Alter von 46 Jahren zum ersten Mal Vater geworden. Als er Lilli am Freitag anruft, um die frohe Botschaft mitzuteilen, schwingt Panik in seiner Stimme mit. Mutter und Tochter sind wohlauf, es geht nur mit dem Stillen nicht so recht, und da das Kind ziemlich abgenommen hat, muss es nun alle drei Stunden an die Brust. Die Wohnung wurde zwar in den letzten Monaten renoviert, aber jetzt stellen sie fest, dass vieles einfach nicht am richtigen Platz ist - die Wickelkommode zum Beispiel, und dann sind da die Treppen, die Katzentröge usw. "Gebt uns ein paar Wochen, um die Lage hier zu stabilisieren, dann könnt ihr uns besuchen kommen", meint Freund S. Lilli lacht ihn fast aus am Telefon - "Lage stabilisieren", haha. Irgendjemand sollte S. mal erklären, dass von nun an nichts mehr "stabil" sein wird. Dass ein Kind die schönste aller Unordnungen mit sich bringt und Tagesabläufe nun nicht mehr im Voraus geplant, sondern alle fünf Minuten neu koordiniert werden, weil das Kind plötzlich zu spucken anfängt oder aber einschläft, wenn man es gerade ins Auto packen wollte.
Aber nein, sie wird es ihm nicht erklären. Er wird es von ganz allein herausfinden wie alle anderen Milliarden Eltern der Erde auch, dafür wird das kleine Mädchen schon sorgen.
Lilli legt los - 22. Sep, 10:16
Der kleine Strolch ist nun endlich, in Klasse 7, auf der neuen Schule. Streng geht es da zu: für vergessene Unterlagen gibt es einen Verweis, für's Zuspätkommen, für nicht gemachte Hausaufgaben, für unvorschriftsmässige Socken und für zu kurze Röcke auch. Hausaufgaben gibt es oft von heute auf morgen, auch wenn der Schüler in der Schulmannschaft trainiert und erst abends um 8 nach Hause kommt. Hat der Schüler Probleme mit den Hausaufgaben, soll er sich nicht an Mama oder Papa wenden, sondern mittags zur Hausaufgabenhilfe oder, bei anhaltenden Schwierigkeiten, morgens zur Nachhilfe kommen. Verlangt werden obendrein ein sauberer Aufschrieb, vollständige Sätze und das selbständige Organisieren der Unterlagen.
Im Vergleich zur Kuschel-Grundschule, die hier bis Klasse 6 mit Lückendiktaten und Anmalen betrieben wird, ein haushoher Unterschied. Und das Erstaunliche dabei ist: es beschwert sich keiner, weder die Kinder noch die Eltern. Der kleine Strolch ist sogar extra eifrig dabei, als ob der strenge Rahmen ihm den Ansporn gäbe, der ihm bei all seinen netten Lehrerinnen und Lehrern der Grundschule gefehlt hat. Sieh mal an.
Lilli legt los - 18. Sep, 10:08
Lilli ruft dem grossen Strolch zum Abtrocknen. Als er in die Küche kommt, hat er nur einen Strumpf an, der andere Fuss ist barfuss. "Du hast ja nur einen Strumpf", sagt Lilli. "Ja, das passiert mir manchmal abends, dass mir ein Strumpf abhanden kommt", erwidert der grosse Strolch gelassen. Neben all seinen sportlichen und akademischen Talenten wird ein weiteres Plus immer deutlicher erkennbar: Selbstironie. In Zeiten des Bullying unschätzbar.
Lilli legt los - 4. Sep, 09:50
Seit heute ist auch der kleine Strolch ein grosser Strolch, der - hier ab Klasse 7 - auf die weiterführende Schule geht. Die "grosse" Schule, wie es die Leute in Québec nennen, la grande école. Sonst hat Lilli immer einen Kloss im Hals, wenn der kleine Strolch wichtige Schwellen des Lebens überschreitet, ist er doch der Kleine und ihr letztes Kind. Das war schon so, als er vom Kindergarten "diplomiert" wurde und direkt gegenüber in die Grundschule kam. Oder als auch er nicht mehr von der Schule abgeholt werden wollte und allein auf den Spielplatz ging. Heute morgen sass er in Uniform an seinem neuen Pult, mit den neuen Büchern und Wörterbüchern vor sich aufgestapelt, und hörte aufmerksam zu, wie die neue Lehrerin den neuntägigen Stundenplan und die Cafeteria erklärte. Und Lilli fing nicht an zu weinen, weder vor allen Leuten noch heimlich in die Handtasche.
Lilli legt los - 28. Aug, 11:20
Jedes Mal, wenn Lilli die Strolche mit ins Museum nimmt und diese daran Spass haben, ist Lilli sehr stolz. Wenn sie später mal glauben kann, dass sie ihren Kindern ein Fünkchen Kunstinteresse einblasen konnte, wird sie das als "mission accomplie" ansehen - nicht so sehr, weil ein Mensch mit Kunstinteresse ein nobles Geschöpf sei, sondern weil Freude an Kunst ganz und gar zu Lillis Person gehört und sie dadurch wahrhaftig ein Stück von sich selbst vermacht hätte. Aber wer würde sich nicht an Alfred Pellan's Kunst freuen? Wer ihn googelt, trifft auf viele SCHÖÖÖNE BUNTE Bilder. Und auf diese freche Karikatur, die kein Einzelfall ist, hat er sich doch öfters über andere Künstler lustig gemacht.
Noch dazu bringt Lilli ihren Strolchen etwas über kanadische Kultur bei, was für eine Einwanderin doch wirklich ein netter Zug ist.
Lilli legt los - 24. Aug, 18:02
Die Weisheit des Tages: Kinder sind undankbar. Sie wissen gar nicht, wie gut sie es haben. Sie schätzen kein bisschen, was Andere für sie tun. Sie haben ja keine Ahnung!
So, und jetzt geht Lilli bügeln.
Lilli legt los - 14. Aug, 10:24
Zu Lillis Sommer gehört - seit Jahren schon - immer ein neues Wasgij. Ein 1000-Teile Puzzle, bei dem man vorher nicht weiss, was hinterher dabei rauskommt. Man puzzelt also blind drauflos, wobei das Hinweisbild auf der Packung schon eine gewisse Hilfestellung leistet - z.B. zeigt es die Szene 50 Jahre vorher oder was gegenüber vom eigentlichen Bild zu sehen ist. Das Ganze wird auf dem Wohnzimmertisch ausgebreitet und bleibt dort, für alle zugänglich, bis es fertig ist, was meist den ganzen Sommer dauert. Gestern sass der kleine Strolch davor und mühte sich mit einem Bildausschnitt ab, der entweder später mal zu einem Hausdach oder aber einer Riesenschildkröte gehören wird. "It gives me the whoopsiedoodles", singt er leise vor sich hin, als er ein neues Teil erfolgreich platziert. Besser kann man dieses Gefühl nicht beschreiben.
Lilli legt los - 8. Aug, 18:24
"Wäsche gewaschen, im Freibad 32 Bahnen geschwommen, gespült", zählt Lilli auf, was sie am Nachmittag so alles gemacht hat. "Wieso gespült?", fragt der kleine Strolch. "Der grosse Strolch und ich haben doch erst gestern gespült!" Lilli schaut ihn mit grossen Augen an. "Ja, da war tatsächlich schon wieder schmutziges Geschirr." "Pfff", sagt der kleine Strolch, "man könnte ja fast meinen, dass das jeden Tag aufs Neue gemacht werden muss...."
Lilli legt los - 5. Aug, 09:52