Strolche
Es ist soweit: ein richtiges gewalttätiges Computer-Rollenspiel hat in den Lilli'schen Haushalt Einzug gefunden. Seit Monaten schon wartete der kleine Strolch auf die PC-Version von Dark Souls II, jetzt hat er sie sich vom eigenen Geld gekauft, nachdem Lilli schlussendlich ihr Einverständnis gegeben hat. Vorher musste noch ein Xbox-Controller gekauft werden (ja, Lilli Weiss jetzt Auch, was das ist), nachdem viele Stimmen gewarnt hatten, wie schwierig das Bedienen der Computertasten bei diesem sowieso schon schwierigen Spiel sei. Es ist ausgemacht, dass der kleine Strolch Samstags und Sonntags je eineinhalb Stunden spielen darf, unter der Woche nicht. Er ist so froh darüber, endlich ein eigenes Computerspiel zu haben, dass er diese Bedingungen widerspruchslos akzeptiert hat.
Lilli kommt sich dabei vor wie ihre Eltern früher bei den Diskussionen über ihren Fernsehkonsum. Sie versteht die Faszination für Computerspiele, hält sie aber für ungesund, nicht förderlich für die Entwicklung der Kinder, im Extremfall für gefährlich. "Mama, es ist nur ein Spiel", hält da der kleine Strolch dagegen. Ja und nein. Jedenfalls ist es ein Phänomen, mit dem Lilli beschlossen hat, leben zu lernen, anstatt es durch Verbannung zum Kultstatus zu erheben.
Lilli legt los - 5. Mai, 09:14
Der grosse Strolch liest gerade "The Giver" im Englischunterricht. Lilli kann sich an kein einziges Buch erinnern, das sie in der 9. Klasse in Englisch gelesen hat, höchstens an "Streetcar named Desire" in Klasse 12, weil das so ganz besonders langweilig war. Wie schön, dass sich die Zeiten geändert haben.
Lilli legt los - 29. Apr, 09:19
Der kleine Strolch - ja, das Kind, das zum Essen gezwungen werden musste und ein Jahr lang nur mit Zusatzdrinks über Wasser gehalten werden konnte - hat einen unglaublichen Kekskonsum. "Jetzt hörst Du aber auf", musste Lilli ihm neulich beim Fernsehen sagen, als er einen Keks nach dem anderen in sich hineinstopfte. Der kleine Strolch, in Ferienlaune, schüttelte kauend den Kopf. "Ich hatte nur zwei und bin total satt", erklärte ihm Lilli. "Aber Mama", sagte er daraufhin, "Du hast doch einen total anderen Metabolismus als ich."
Lilli legt los - 17. Apr, 17:44
Lilli nimmt dem kleinen Strolch die Chipstüte weg, die er aus ihrem Versteck entwendet hat. "Das ist ja nicht gerade ein gesunder Snack", sagt Lilli. "Doch, die sind mit Saure-Gurken-Geschmack", meint da der kleine Strolch.
Lilli legt los - 27. Mär, 17:45
Glückliche Menschen, so heisst es, haben nichts zu erzählen. Der grosse Strolch lebt zwischen Schule, Hausaufgaben, Hockeyspielen und Pizza mit Freunden so dahin, scheint sich wohlzufühlen und ist eher schweigsam. Der kleine Strolch feiert heute Geburtstag mit Freunden, die er ins Kino einlädt, und findet ansonsten, dass er neben Schule, Hausaufgaben und Basketball nicht genug Zeit für Pizza mit Freunden hat, was er gerne lautstark und wiederholt mitteilt. Lilli ist froh, wenn die Familie am Wochenende abends zusammen Filme guckt, damit sie hinterher darüber diskutieren können. Zu Bloggen gibt es dabei nicht viel. Gluckliche Menschen, so heisst es, haben nichts zu erzählen. Leute, die auf den Frühling warten, auch nicht.
Lilli legt los - 23. Mär, 12:30
"Diesen Film werde ich nicht ansehen", erklärt Lilli im Videoclub, als der kleine Strolch ihr "Prisoners" von Denis Villeneuve (aus Montréal!) unter die Nase hält. Ja, er soll gut sein und spannend und Jake Gyllenhal spielt auch mit, aber Lilli kann doch nicht mit ansehen, wie zwei Kinder entführt werden! Natürlich wurde sie überstimmt, mit dem Ergebnis, dass die gesamte Familie über zwei Stunden lang bibbernd am Rande des Sofas sass und die Augen nicht abwenden konnte von dem Horror, der sich da im grauen Novemberwetter für zwei ganz normale Familien abspielte. Nervenzerfetzend, moralische Fragen aufwerfend und mysteriös genug, um noch lange Diskussionen darüber zu nähren, was man selbst in dieser Situation gedacht und getan hätte. Nicht für zarte Seelen und auch nicht, wie auf der Hülle angegeben, für Kinder ab 13, obwohl der kleine Strolch grossspurig erklärte, dass ihm der Film keine Angst gemacht hätte, kein bisschen. Und dann doch wissen wollte, wo die Handlung eigentlich spielt und wie weit das von Montréal entfernt liegt...
Lilli legt los - 17. Mär, 12:03
"Du hast es gut, du kannst heute daheimbleiben und wir müssen in die Schule", sagt der grosse Strolch. "Ich bin aber krank", sagt Lilli. Sie verbringt den Tag über im Bett, ohne diesen Luxus auch nur das kleinste bisschen geniessen zu können. Dann sind die Strolche auch schon wieder da. "Hast du meinen Schal gewaschen", will der grosse Strolch wissen. "Nein, ich war heute krank", sagt Lilli nachdrücklich. "Und was gibt es zu essen?", fragt der kleine Strolch. "Da müsst ihr selber mal schauen, denn ich war heute KRANK", wiederholt Lilli störrisch. Das Konzept der funktionsuntüchtigen Mutter scheint ihnen absolut nicht in den Kopf zu wollen, selbst wenn diese im Bett liegt und aussieht wie ihr eigenes Gespenst. "Meine Lebensleiste ist fast auf Null", vielleicht hätten sie das eher kapiert.
Lilli legt los - 12. Mär, 10:00
Der kleine Strolch hat jetzt ein Schlagzeug. Was man nicht alles tut, um die Kinder vom Computer wegzubringen...
(Immerhin ein E-Schlagzeug. Wenn er seine Kopfhörer aufhat, klappert es nur ein bisschen.)
Lilli legt los - 11. Mär, 14:25
"Kind, was tut man sich für Erinnerungen an", hatte Lilli mal vor Urzeiten aus einem Roman in ihr Zitatenbüchlein notiert. Ja, wenn das Leben gut ist, muss man später mit den Erinnerungen an diese gute Zeit leben, sie widerkäuen und das Vergangene als grossen Verlust empfinden. Wer das Glück hatte, Grosses zu erleben, steht nachher mit leeren Händen da und ist sich dieser Leere schmerzhafter bewusst als jemand, der überhaupt nie auf den Wolken der Seligkeit segeln durfte. Trotzdem kann man nicht wünschen, nie glücklich gewesen zu sein, nie geliebt zu haben, nur seicht vor sich hingeplätschert zu sein, das kann nicht erstrebenswert sein im Leben, oder??
Und das alles nur, weil Lilli gestern den grossen Strolch zu Freunden gefahren hat, die ihn ein paar Tage mitnehmen zum Skifahren. Der grosse Strolch ist glücklich, die Freunde sind glücklich, Lilli ist glücklich für den grossen Strolch. Und fährt allein nach Hause, manchmal auf den leeren Beifahrersitz schielend, und sagt sich, dass das Leben so kommen muss.
Lilli legt los - 6. Mär, 10:19
Wenn Kinder in der Schule Uniform tragen, wird "bunte" Kleidung plötzlich aufgewertet. So war der grosse Strolch heute samt Eltern zu einer Sportgala in der Schule eingeladen, um die Ergebnisse der Footballmannschaft zu feiern. Kleidervorschrift: Uniform oder Strassenanzug. Ohne Lilli auch nur ein Wort davon zu sagen, hatte der grosse Strolch tatsächlich ein blaues Hemd mit in die Schule genommen, um sich vor dem Ereignis umziehen zu können, genau wie seine Mitschüler übrigens. Sie sahen gleich so anders aus, dass Lilli und Monsieur Schwierigkeiten hatten, diese schlaksigen Jungs, die sie letzten Herbst auf dem Footballfeld beklatscht hatten, wiederzuerkennen. Anstatt übereinander zu fallen und sich Bälle aus den Händen zu reissen, standen sie um die Tische mit Häppchen und Sprite herum, sahen ab und zu zu ihren Eltern herüber, strichen sich die Haare aus den Augen. Nächstes Jahr werden sie in eine neue Altersstufe aufsteigen, in der sie die Jüngsten sein werden. Ausgerenkte Schultern und Gehirnerschütterungen sind deshalb vorprogrammiert. Die Jungs scheint das nicht zu stören, im Gegenteil, sie halten es für Heldentum, während die Trainer mit Wörtern wie Beharrlichkeit, Über-sich-selbst-Hinauswachsen und Teamgeist um sich werfen. Noch ein paar Wochen hat der grosse Strolch Bedenkzeit, dann wird die Mannschaft das Feld stürmen, das noch leicht vereist unter ihren Schritten knirschen wird.
Lilli legt los - 28. Feb, 10:05